Leseprobe - Kap. II
Aldrian schwanden die Sinne. Nach einiger Zeit verspürte er die warmen Strahlen der Morgensonne in seinem Gesicht. „Ist dies nur wieder einer meiner seltsamen Träume?“, fragte er sich leise. Vorsichtig öffnete er seine Augen. Um ihn herum war jedoch nicht das Lagerfeuer, sondern tatsächlich der Steinkreis von Auenlicht. „Abgeschmissen hat er mich“, stammelte Aldrian halblaut vor sich her. Er rieb sich die Augen und wischte instinktiv seine Kleidung ab, die jedoch keineswegs verschmutzt war. Er richtete sich auf und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass der Steinkreis vollständig war. Seit seiner Kindheit fehlten einige der kleineren Steine, die Gerüchten zufolge von den Bewohnern von Steppenwald zum Hausbau verwendet worden waren. Was war hier geschehen? Wer mochte diesen Kreis vervollständigt haben, von dem niemand wusste, wer ihn eigentlich erbaut hatte und welchem Zweck er diente? Etwas stimmte hier ganz offensichtlich nicht. „Onkel Alarion wird sicher eine Antwort wissen“, brummelte Aldrian in seinen prächtigen Bart und machte sich auf den Weg in die Richtung seiner Behausung. Dass die scheinbare Wasservertiefung in dem vollständigen Steinkreis nicht mehr vorhanden war, stimmte ihn ebenfalls sehr nachdenklich. Als er wenige Schritte gegangen war, hörte er wieder jenes bekannte Wiehern, das ihn in diese missliche Lage brachte. Der weiße Hengst war wieder vor ihm und lief so auf ihn zu, als ob die beiden seit Jahren die besten Gefährten wären. Von den Stuten war nichts zu sehen. Wieder verbeugte sich der Hengst anmutig und wieder ließ er Aldrian aufsitzen. Aldrian befürchtete schon das Schlimmste, doch der Hengst blieb diesmal ruhig und war folgsam. Aldrians Verwunderung wuchs mit jedem Augenblick. Je weiter Aldrian ritt, desto fremder kam ihm die Umgebung vor. Es gab keinen Zweifel, dass er in Steppenwald war, doch alles sah etwas anders aus, als er es in Erinnerung hatte. Da standen Bäume, die ihm zuvor noch niemals aufgefallen waren, und an anderer Stelle fehlten welche. Zudem schien der alte Weg nicht ganz der gleiche zu sein. Er wirkte schmaler und war voller Hufspuren, die hier sonst sehr selten waren. Doch was ihm am sonderbarsten vorkam, war die Tatsache, dass die Laubbäume bereits buntes Blattwerk trugen und dass es trotz der Sonnenstrahlen bereits sehr kalt geworden war. Doch was macht das schon aus, dachte er sich, denn schließlich hatte er den Wolfsmantel von Onkel Alarion an, der selbst in kalten Wintern für genügend Wärme sorgen würde. Nun war es nicht mehr weit bis zum Haus und er konnte bereits den Rauch des Feuers riechen. Doch als er in die Nähe der Hauslichtung kam, traute er seinen Augen nicht. Das Haus war weg, scheinbar spurlos verschwunden! Er zweifelte nun ehrlich daran, dass er erwacht war. Doch eines war sicher, das Feuer konnte er riechen und auch das Pferd unter ihm schien echt zu sein. Da hier jedoch ersichtlich einiges nicht stimmte, stieg er vom Pferd und schlich sich in die Richtung des Rauches, den er in unmittelbarer Nähe aufsteigen sah. Um Geräusche zu vermeiden, ließ er das prächtige Tier zurück. Er sah vier junge Männer um ein Lagerfeuer sitzen. Sie sprachen in einem Dialekt, der ihn sehr an die seltsame Aussprache erinnerte, die auch Onkel Alarion verwendete, wenn er im Wald zu den Tieren sprach. Die Männer waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet und trugen lange Dolche, in schön verzierten Messerscheiden. Sie waren anscheinend in seinem Alter, doch ihre Stimmen klangen seltsam hoch für junge Männer. Nicht wie Frauenstimmen, jedoch ein seltsam feiner Klang war deutlich zu hören. Er ging näher heran, und plötzlich sagte einer der Fremden, welcher mit dem Rücken zu ihm saß: „Kommt ruhig näher und bringt auch euer Pferd mit.“
Aldrian war sehr verwundert, denn jenes Pferd, das ihn scheinbar in diese Situation gebracht hatte, stand über zweihundert Schritt entfernt. Er holte das Pferd und ging langsam an das Lagerfeuer. Die Fremden hatten haarlose, schmale Gesichter mit genauso großen und wundersamen Augen, wie sie auch in seiner Familie vererbt wurden. Die jungen Männer hatten langes Haar und trugen darin an vielerlei Stellen dünne Zöpfe von besonderer Flechtweise, mit Perlen, Federn und anderen schönen Dingen verziert. Alle hatten ein sehr angenehmes Aussehen, welches friedsam und weise anmutete. In ihren Augen schien sich jedoch ein Geheimnis zu verbergen. Ein gefüllter hölzerner Becher stand bereits an einem freien Platz. Einer der Fremden sprach plötzlich zu ihm: „Setzt euch nun endlich nieder und trinkt, es ist ein guter Tee, der euere Gesundheit vor dem herannahenden Schneesturm schützen wird.“
„Was für ein Schneesturm? Es ist doch klares Wetter und mitten im Sommer“, erwiderte Aldrian verwundert. Ohne auf seine Worte einzugehen, stellten sich die Fremden vor. „Man nennt mich Moonargon“, gab der Fremde zu verstehen, der ihn an die Feuerstelle eingeladen hatte.
„Ich höre auf den Namen Silverion, und das sind meine Brüder Genion und Talian“, sprach der Fremde zu seiner Linken.
Auch Aldrian nannte seinen Namen, obwohl er sicher war, dass dies nur ein Traum sein konnte. Die Fremden musterten ihn genau. Es schien, als könnten sie Aldrian nicht recht einordnen; er entsprach irgendwie nicht den Wesen, die sie kannten.
„Es freut uns, dich kennen zu lernen, doch was tust du hier, allein mit deinem Pferd in diesem Wald?“, fragte Moonargon. Aldrian erzählte, dass noch gestern das Haus von ihm und seinem Onkel Alarion hier gestanden hatte! Er berichtete von der Feier mit den Bewohnern von Steppenwald und von dem Erlebnis mit dem Pferd und dem Steinring von Auenlicht, in dem er vor geringer Zeit erwacht war.
Den Fremden schienen ihre hellen Stimmen im Halse versunken zu sein, denn für geraume Zeit antwortete keiner der vier jungen Männer. Sie blickten ihn mit ihren großen Augen nachdenklich an. Endlich sprach Moonargon zu ihm und unterbrach die Stille. „Ihr habt das Haar und die Augen eines Elben, den Bart eines Zwergen, die Gestalt eines Menschen, doch verrückt scheint Ihr nicht zu sein. Auch wenn mir Eure Geschichte so wirr wie verfilztes Zwergenhaar vorkommt, hört sich die Auswahl Eurer Worte weise und bedacht an. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr uns zu unseren Ältesten folgen. Vielleicht wissen sie Antworten auf Euere seltsame Geschichte.“
Aldrian willigte ein, auch wenn ihn die Worte des Fremden verwunderten. Mal sprachen sie ihn mit >DU< und dann wieder mit >EUCH< an. Solche Redensformen kannte er nur aus sehr alten Überlieferungen der Elben.
Noch immer hatte er einen Funken Hoffnung in sich, dass er nun gleich erwachen würde und alles nur einer jener bösen Träume wäre, die er schon öfter hatte. Doch dieser Funke war so klein, dass er zu verglimmen drohte. Aldrian setzte sich auf sein Pferd und wartete, bis die Fremden das Feuer gelöscht und das Trinkgeschirr in einem kleinen Bach gereinigt hatten.
„Auch dieser Bach war gestern noch nicht an dieser Stelle“, bemerkte er.
Schweigend und anmutig zogen die vier Fremden los, Aldrian folgte ihnen. Nach gut tausend Schritten sagte Aldrian plötzlich: „Ich kenne diesen Weg, er führt auf die Lichtung vor Norions Haus, unserem Ältesten hier in Steppenwald.“ Als sie an die genannte Stelle kamen, war dort tatsächlich eine Lichtung, doch von einem Haus war weit und breit nichts zu sehen. Aldrians Stimmung erreichte einen Tiefpunkt und die vier Fremden sahen ihn fast bedauernd an. Dass nun bald das kleine Birkenwäldchen kommen müsste, in dem immer schmackhafte Pilze wuchsen, erwähnte Aldrian erst gar nicht. Er war offensichtlich tief bedrückt und verstand die Welt nicht mehr. Doch plötzlich sah er tatsächlich Birken. Birken, soweit das Auge blicken konnte! Aus dem Wäldchen schien über Nacht ein stattlicher Birkenwald geworden zu sein und Aldrian wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Die vier Begleiter spürten seine Verzweiflung und Genion sprach zu ihm: „Wir sind bald am Ziel, steig nun lieber ab von deinem Pferd, es kommt ein schwieriger Pfad.“
Aldrian folgte Genions Ratschlag und ging nun zu Fuß neben seinem stolzen Hengst, für den er bereits eine gewisse Zuneigung empfand. Sie kamen an das Felsmassiv von Irrlicht, das mitten aus Steppenwald herausragte und hohe Felswände hatte, die durch einen wunderschönen Wasserfall geziert wurden. Der Fels führte das Schmelzwasser von dem Gebirge Grimmlaun, welches als sehr gutes Trinkwasser bekannt war. Aldrian hatte sich von diesem Platz schon immer magisch angezogen gefühlt und dort seit seiner Kindheit Mineralien und Erze gesammelt. Der Dorfschmied hatte schon früh Gefallen an Aldrians regem Interesse an diesen Dingen. Er lehrte Aldrian alles, was er selbst darüber wusste. Aldrians Vorliebe für das Arbeiten mit verschiedenen Metallen war eines jener Dinge, die ihn von seinem Onkel Alarion unterschieden. Alarion bewunderte jedoch das handwerkliche Geschick von Aldrian sehr. Selbst der Schmied war stolz auf Aldrians Arbeiten, die an Schönheit und Funktion sogar seine eigenen Arbeiten oftmals um Längen schlugen.
Doch Aldrian war nun hier, in einem scheinbaren Traum, der kein Ende zu nehmen schien. Er schwelgte tief in Gedanken, als er plötzlich einen eisigen Wind verspürte und ihm kräftige Schneeflocken in das Gesicht peitschten.
„Der Schneesturm hat uns erreicht, wir müssen uns beeilen!“, drängte Moonargon.
Aldrian wunderte sich immer mehr über die Begleiter. Woher hatten sie zuvor gewusst, dass ein Schneesturm einbrechen würde? Auch er selbst hatte ein ausgeprägtes Gespür für das Wetter, doch diese Fremden waren ihm darin offenbar deutlich überlegen. Die Fremden eilten mit langen Schritten in Richtung des Wasserfalls von Irrlicht. Dort angekommen blieb Moonargon plötzlich stehen und legte eine Hand auf Aldrian, die andere auf dessen Pferd und murmelte einige Worte.
Es hörte sich an wie „Chaa ne wa enlawa“ oder so ähnlich. Was immer diese Worte auch bedeuten mochten, Aldrian hatte keine Gelegenheit mehr, darüber nachzudenken. Der Schneesturm hatte nun seinen Höhepunkt erreichte und die Kälte nahm deutlich zu. Die vier Begleiter eilten direkt auf den Wasserfall zu und verschwanden darunter. Aldrian zögerte kurz, dann nahm er sein stolzes Ross sanft an der Mähne und folgte den Begleitern durch den Wasserfall. Auf der anderen Seite angekommen war sein Staunen vollkommen. Obwohl er gerade unter einem Wasserfall hindurchgegangen war, war nicht das geringste Zeichen von Nässe an ihm oder einem der anderen Begleiter zu sehen, auch nicht an seinem Pferd. Wahrlich, dies konnte wohl nur ein Traum sein, ein Traum, der Aldrian einen bösen Streich zu spielen schien. Auf der anderen Seite des Wasserfalls befand sich ein hoher und breiter Gang, der von außen jedoch nicht zu sehen war. Nach einem kurzen Fußmarsch endete der Weg vor einer wunderschönen hohen Wand, die mit Zeichen verziert war. Die Zeichen erinnerten Aldrian an eine Schrift, welche die frühen Elbenvölker verwendeten. Der Händler Garf aus Steppenwald hatte vielerlei alte Schriftrollen, welche Aldrian seit Kindheit an fasziniert hatten und die er schon früh zu studieren begann. Onkel Alarion wusste sehr viel über alte Schriften und Bräuche von den verschiedensten alten Völkern und er brachte ihm all sein Wissen bei.
„Das ist eine Elbenschrift!“, rief Aldrian laut heraus. Verwundert und überrascht sahen ihn seine vier Begleiter an. Dann trat Moonargon vor die Wand und sprach mit konzentrierter Stimme Worte, die sich anhörten wie: „Bravane, Bravane, la waa, la waa, elirio av Bravane .“ Diese Worte bewirkten, dass sich die dicke Felswand langsam verfärbte und schließlich unsichtbar wurde. „Kommt, lasst uns gehen“, sprach Moonargon mit gelassener Stimme. So, als ob es das Normalste der Welt wäre, eine Wand durchsichtig zu machen und dann mal so eben hindurch zu spazieren.
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